Fallbeispiel

Fallbeispiel einer erfolgreichen Schadenersatzforderung nach Operation eines Karpaltunnelsyndroms:

Nach einer Operation eines Karpaltunnelsyndroms, eines der häufigsten Kompressionssyndrome, suchte mich Herr M. in meiner Praxis auf. Nach der Operation litt der Patient an besonders starken Tag- und Nachtschmerzen in der betroffenen Hand sowie an einem fast vollständigen Ausfall der daumenseitigen Fläche der Sensibilität des Ringfingers.

Die aufwändige Korrekturoperation (Befreiung des Nervs von Narbengewebe, Umhüllung des Nervs mit einem Gleitgewebelappen, Erweiterung des Handgelenkdurchmessers mit einem Hauttransplantat) führte zwar letztendlich zur Beseitigung der Schmerzsymptomatik aber nur zur teilweisen Wiederherstellung der Sensibilität des Ringfingers.

Der in der ersten Distanz bestellte orthopädische Sachverständige bescheinigte dem Chirurgen eine lege artis durchgeführte Operation und erklärte die Beschwerden in dieser Ausprägung zwar für sehr selten, sie lägen jedoch noch im Rahmen des möglichen Komplikationsspektrums .

Die durch mich im Rahmen des zweitinstanzlichen Verfahrens durchgeführte Befragung des Operateurs ergab dann eine völlig veränderte Situation ohne jedoch den Arzt eines schuldhaften Verhaltens bezichtigen zu müssen und dennoch dem Patienten dem ihn zustehenden Schadenersatz zu Teil werden zu lassen.

Der Chirurg hatte die OP in örtlicher Betäubung (Lokalanästhesie) durchgeführt. Dabei hat er mit einer Injektionsnadel zunächst ein kleines Depot unter die Haut gesetzt und ist danach mit der Nadelspitze vorsichtig in die Tiefe vorgedrungen bis der Patient einen stechenden Schmerz verspürte. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Nadel die Nervenoberfläche erreicht/berührt hat. Nun wurde in dieser Stelle weiter Lokalanästhetikum eingebracht und das Operationsgebiet wurde vollständig gefühllos (übereinstimmende Schilderung von Arzt und Patieten M.).

Es war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass bei Herrn M. dieses Vorgehen (die Nadel dringt in den Nerv ein) zur Verletzung eines Nervenfaszikels geführt hat, die in weiterer Folge zum Sensibilitätsausfall am Ringfinger und den inneren Vernarbungen rund um den Nerv führte.

Ich konnte dem Kollegen attestieren, dass er für die Lokalanästhesie ein Verfahren gewählt hat, das lege artis war (diese Methode ist in Lehrbüchern beschrieben und wird bedauerlicherweise der Einfachheit halber von vielen KollegInnen eingesetzt). Dennoch war es verletzungskausal und damit für die Beschwerden von Herrn M. einerseits und für die Notwendigkeit der Revisionsoperation andererseits verantwortlich.

Daher entschied der Richter insofern für den Kollegen als dieser keinen Kunstfehler begangen hat, die Haftpflichtversicherung des Spitals musste der Schadenersatzforderung von Herrn M. allerdings nachkommen, weil auch ein anderes, von mir im Gutachten beschriebenes Verfahren zur örtlichen Betäubung hätte gewählt werden können, das die Verletzung des Nervs ausschließt. Dabei wird nach Einbringen des subcutanen Depots die Nadel nicht weiter in Richtung Nerv vorgeschoben, sondern zunächst der Hautschnitt durchgeführt und der Nerv freigelegt. Danach wird unter Sicht und unter Verwendung einer Lupenbrille mit einer stumpfen Pinzette die Hülle des Nervs angehoben, und so ein wenig von der Nervenoberfläche entfernt. Anschließend wird mit einer sehr dünnen Nadel, die parallel zur Nervenoberfläche eingebracht wird, Lokalanästhetikum zwischen Nervenoberfläche und Nervenhülle eingebracht. Die Nadel kann den Nerv also nicht verletzen. Die Schmerzausschaltung ist durch diese hyperselektive Methode des Einbringens von Lokalsnästhetikums 100%ig gegeben.

Der Orthopäde kannte diese Methode nicht, der Chirurg ebenfalls nicht. Die Haftpflichversicherung des Arztes argumentierte, dass das von mir beschriebene Verfahren allenfalls auf einer Universitätsklinik bekannt sein kann, die Kenntnis des Verfahrens jedoch nicht verpflichtend für den durchschnittlichen Wissensstand eines Facharztes für Chirurgie oder Orthopädie sei.

Der Richter schloss sich schließlich der Meinung meines Gutachtens an und gab den Forderungen von Herrn M. statt.